Nordische Mythologie

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Als nordische Mythologie bezeichnet man die Gesamtheit der Mythen, die in den Quellen der vorchristlichen Zeit Skandinaviens belegt sind.

Die nordischen Mythen sind zum Teil den kontinentalgermanischen Mythen sehr ähnlich. Man geht heute allgemein davon aus, dass die Göttergesellschaft ursprünglich dieselbe war. Gleichwohl haben sich Kulte, Namen und Mythen in den verschiedenen Räumen im Laufe der Zeit auseinanderentwickelt.

Die nordische Mythologie basierte nie auf einer religiösen Gesellschaft oder auf einem zusammenhängenden religiösen System. Sie war also nie so etwas wie eine Religion im modernen Sinn. Es gab auch keine Instanz, die die Glaubensinhalte festlegte. Die Mythen waren eher ein theoretischer Überbau für bestimmte Kultformen und hatten wenig mit Glauben im modernen Sinne zu tun. Gleichwohl finden sich immer wieder Versuche in der Forschung, zu ermitteln, was der „ursprüngliche“ und „echte“ Glaubensinhalt gewesen ist. Ein solches Qualitätsurteil lässt sich kaum treffen, zumal eine Religion immer als „echt“ von dem erlebt wird, der sie ausübt.[1]

Es gibt nur sehr wenige schriftliche Zeugnisse aus der Zeit der mythischen Kulte. Es handelt sich dabei um die in Metall oder Stein geritzten Runen. Die meisten Quellen stammen hingegen aus römischen und christlichen Schriften. Diese stammen weder aus erster Hand, noch sind sie neutral. Die zusammenhängende Darstellung und der enzyklopädische Charakter der Völuspá werden nicht der vorangegangenen oralen Tradition zugerechnet. Man muss auch berücksichtigen, dass die skandinavischen Dichter Elemente der christlichen Religion verwendet haben, ohne deren Inhalt zu übernehmen.[2]

Archäologische Quellen

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Sonnenwagen von Trundholm

Andeutungen über religiöse Vorstellungen der Vorzeit lassen sich auch aus bronzezeitlichen Artefakten ablesen. Bekannt sind schalenförmige Eintiefungen in Felsen, die mit Opfern in Verbindung gebracht werden. Felsritzungen lassen auf schamanistisch-magische Praktiken schließen. Ob die Mythen inhaltlich irgendetwas mit dem zu tun haben, was auf uns überkommen ist, lässt sich nicht feststellen. Das Rad mit vier Speichen als Felsritzung lässt manche auf einen Sonnenkult in der Bronzezeit schließen, für den eine mythische Grundlage aber nicht überliefert ist. Das Gleiche gilt für Miniaturäxte, die mit dem Blitz in Verbindung gebracht werden. Der Sonnenwagen von Trundholm, ein 1902 auf Sjælland in Dänemark gefundenes 57 cm langes Bronzemodell eines von Pferden gezogenen Wagens, der in die Zeit von 1500 bis 1300 v. Chr. datiert wird, belegt jedenfalls keinen Sonnenkult.

Es ist aus religionsphänomenologischer Sicht nicht völlig sicher, dass mit den steinzeitlichen Religionen bereits Götter als lebende Wesen verbunden waren. Es ist auch gut möglich, dass Naturelemente wie Blitz, Bäume, Steine, Erde und Wasser selbst als lebendig betrachtet wurden. Götter als Personen sind in der Bronzezeit durch Felszeichnungen und Bronzefiguren belegt. Nun werden in großer Zahl kleine Boote aus Gold und andere Gegenstände angetroffen, die auf Opfer schließen lassen. Opfergefäße auf Wagen deuten auf Fruchtbarkeitskulte hin, die mythologisch bereits mit der nach Tacitus pangermanischen Gottheit Nerthus in Verbindung gebracht werden.

Die Feuerbestattung, die in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. üblich wurde, wird als Mittel der Befreiung der Seele vom Körper für ein jenseitiges Leben gedeutet.

Ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. finden sich Schiffsbestattungen in verschiedenen Formen. Menschen werden in voller Kleidung und mit reichen Beigaben bestattet. Man findet Münzen wohl analog zum Obolus aus der griechischen Mythologie im Mund des Toten, mit dessen Hilfe er die Überfahrt der Seele ins Totenreich bezahlen soll. Dass das gleiche sehr spezielle Motiv zu dieser Zeit unabhängig vom kontinentalen Kulturkreis entstanden sein sollte, darf als unwahrscheinlich gelten, so dass von einer Motivwanderung von Süden nach Norden ausgegangen werden kann.

Weitere Quellen sind die skandinavischen Brakteaten mit Götterdarstellungen und Runeninschriften sowie Votivgaben aller Art.

Alle diese archäologischen Zeugnisse bedürfen für ihre konkrete Deutung der Schriftquellen. Als Snorri Sturluson sein Skaldenlehrbuch um 1225 schrieb, war der geschilderte mythologische Stoff von Skandinavien bis Bayern bekannt. Er schildert zum Beispiel die Midgardschlange als ein Tier, das um alle Lande herum im Meer liegt und sich selbst in den Schwanz beißt. Dieser Text deutet die Darstellung der sich in den Schwanz beißenden ringförmigen Schlange auf dem Goldmedaillon von Lyngby aus dem 5. Jahrhundert, auf dem englischen Steinkreuzfragment von Brigham aus dem 8. Jahrhundert, auch den Ring in einem Pfeilerdienst der Neuwerkkirche in Goslar aus dem 12. Jahrhundert und auf dem spätromanischen Taufbecken von Fullösa in Schonen. Seine Überlieferung ist der wichtigste Schlüssel zur germanischen Ikonografie der Mythen. Bildliche Darstellungen, die keiner textlichen Überlieferung zugeordnet werden können, wie dies für die Felsritzungen der Bronzezeit gilt, sind über den konkreten Gegenstand der Darstellung hinaus nicht zu interpretieren.[3]

Schriftliche Quellen

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Allgemeine Quellen

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Die ältesten Quellen über Mythen nördlich der Alpen stammen aus dem 1. Jh. n. Chr. und wurden von Tacitus überliefert. Andere Quellen sind Votivsteine germanischer Soldaten in römischen Diensten. Sie sind häufig schwer verständlich, weil sie sehr kurz sind und die Kenntnis über mythische Zusammenhänge bereits voraussetzen. Außerdem bezeichnen sie die germanischen Götter in der Regel mit den lateinischen Namen der entsprechenden römischen Gottheiten. Als weitere Quellen kommen Verfasser wie Prokop, Jordanes, Gregor von Tours, Paulus Diaconus und Beda Venerabilis hinzu und Beschlüsse von Kirchensynoden und Gesetze, insbesondere von Burchard von Worms, päpstliche Rundschreiben und Predigten. Sie lassen Rückschlüsse auf die religiöse Praxis des einfachen Volkes auf dem germanischen Kontinent zu, an die sich dann Nachrichten über spätere Zeiten anschließen.

Außerordentlich selten sind Quellen in einer germanischen Sprache, wie die Merseburger Zaubersprüche, der Text auf der Nordendorfer Spange, die angelsächsischen Stammtafeln, Glossen mit Personen und Ortsnamen und die Andeutungen in den Heldensagen. Alle diese Quellen betreffen aber Mythen und religiöse Praktiken der kontinentalen Germanen, und die Schlüsse daraus lassen sich trotz der Verwandtschaft nicht ohne weiteres auf Skandinavien übertragen.

Skandinavien ist mit schriftlichen Quellen reicher gesegnet, in aller Regel in altisländischer Sprache. Allen voran steht die Lieder-Edda, die Prosa-Edda des Skalden Snorri Sturluson, wobei bei seinen Texten immer beachtet werden muss, dass sie in einer bereits christlich geprägten Kultur verfasst worden waren. Aber auch andere Skalden- und Prosatexte sowie lateinische Berichte wie die des Adam von Bremen, des Thietmar von Merseburg, des Saxo Grammaticus, die Vita Ansgarii des Rimbert. Sogar in der samischen und in der finno-ugrischen Mythologie finden sich Gestalten, die nordgermanische Entsprechungen haben: Hora-galles entspricht dem Thor, Väralden olmai (isl. veraldar guð, Frey), Biegga-galles (Windgott, Sturmgott, Njörd oder Odin). Der schamanistische Odin und die Art wie er seine besondere Sehergabe erhält, ist höchstwahrscheinlich finno-ugrischen Ursprungs.

Es ist umstritten, ob das, was die gelehrten norwegischen und isländischen Quellen über die nordische Mythologie berichten, auf Einflüsse der griechischen Mythologie und des christlichen Gedankengutes zurückzuführen ist. Es hat sicherlich nicht zum Glauben im Volke gehört. Einiges kann auch auf Missverständnissen christlicher Verfasser über mythische Vorstellungen und Zusammenhänge beruhen. Sørensen[2] meint, dass die Lieder-Edda genuin heidnische Tradition wiedergibt: Zum einen enthalte die Darstellung der Götter keinen Bezug zum Christentum, auch nicht zu christlicher Moral. Zum anderen betont Snorri selbst den scharfen Unterschied zwischen dem, was er niederschreibt und dem Christentum:

„En ekki er at gleyma eða ósanna svá þessar frásagnir at taka ór skáldskapinum fornar kenningar, þær er höfuðskáld hafa sér líka látit. En eigi skulu kristnir menn trúa á heiðin goð ok eigi á sannyndi þessa sagna annan veg en svá sem hér finnst í upphafi bókar.“

„Die hier erzählten Sagen dürfen nicht vergessen oder Lügen gestraft werden, indem man aus der Dichtkunst die alten Umschreibungen verbannt, an welchen die Klassiker Gefallen gefunden haben. Doch sollen Christenmenschen nicht an die heidnischen Götter und nicht an die Wahrheit dieser Sagen auf andere Weise glauben, als so, wie es im Anfang dieses Buches zu lesen ist.[4]

Skáldskaparmál.

Snorri verstand also seine Überlieferung als echt heidnisch und für Christen nicht ungefährlich. Ein Einfluss lässt sich insbesondere für die Einrichtung von „Tempeln“ vermuten, die in lateinischen Texten erwähnt werden. Denn es gibt kein entsprechendes Wort für das lateinische Wort templum in norrön, und es sind auch nicht die leisesten archäologischen Spuren heidnischer Gotteshäuser gefunden worden. Daher lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, welchen Gegenstand die Verfasser mit dem Ausdruck templum belegt haben. Alles spricht für einen Opferkult unter freiem Himmel mit Gelage im Wohnhaus des Goden. Allerdings sind für das Festgelage auch große Hallen nachgewiesen (z. B. Borg auf den Lofoten mit 74 m Länge, Gudme auf Fünen und Lejre auf Seeland mit 47 m). Auch die Ortsnamen auf -hov deuten auf solche zentralen Kultstätten hin. Nach allem, was man weiß, dürfte der Gebäude-Tempel in Uppåkra eine Ausnahme gewesen sein. Der Glaube im Volk über die Seelen der Verstorbenen und die Naturereignisse entspricht im Wesentlichen dem, was in ganz Europa geglaubt wurde, was auch durch den übereinstimmenden Volksglauben in jüngerer Zeit und auch die ähnliche Nomenklatur für Alben, Zwerge, Nachtmare, Wichtel und Nöck bestätigt wird. Nachrichten über solche Gemeinsamkeiten im Glauben der frühen germanischen Zeit finden sich in dem gemeinsamen Zug, über Bäume und Flüsse hinaus auch die Sonne, den Mond und das Feuer zu verehren. Eine systematische Mythologie, die dem Volksglauben zu Grunde liegt, lässt sich aus den Quellen aber nicht entwickeln. Die Traditionen waren auch nicht einheitlich. So schreibt Snorri z. B. in Gylfaginning über Odin:

„Ok fyrir því má hann heita Alföðr, at hann er faðir allra goðanna ok manna ok alls þess, er af honum ok hans krafti var fullgert. Jörðin var dóttir hans ok kona hans.“

„Allvater kann er heißen, weil er Vater ist aller Götter und Menschen und alles dessen, was durch ihn und seine Macht geschaffen worden ist. Jörð (Erde) war also seine Tochter und seine Frau.[5]

Gylfaginning Kap. 9

und kurz darauf:

„Nörfi eða Narfi hét jötunn, er byggði í Jötunheimum. Hann átti dóttur, er Nótt hét. … Því næst var hon gift þeim, er Ánarr hét. Jörð hét þeira dóttir.“

„Nörfi oder Narfi hieß ein Riese, der in Riesenheim hauste. Er hatt’ eine Tochter namens Nacht … In zweiter Ehe war sie verheiratet mit einem, der Ánnar hieß. Jörð (Erde) hieß ihre Tochter.[5]

Gylfaginning Kap. 10

Hier hat Snorri also zwei unterschiedliche Traditionen über die Eltern von Jörð unverbunden nebeneinander gestellt. Auch stehen ein vertikales Weltbild mit Göttern im Himmel und ein horizontales Weltbild mit dem Wohnsitz der Götter im Mittelpunkt der Erdscheibe nebeneinander. Baldur wohnt in Breiðablik, Njörd in Noatún und Freya in Folkwang, alle im Himmel lokalisiert.[6] Andererseits heißt es, dass die Asen eine Burg Asgard mitten in der Welt bauten und dort wohnten.[7] Es wird sowohl vertreten, dass beides unterschiedliche heidnische Traditionen seien,[8] als auch, dass das vertikale Weltbild einen christlichen Einfluss widerspiegle.[9]

Die neuere Forschung sieht den Einfluss des Christentums weniger in einem Eindringen christlicher Motive in die heidnischen Mythen als vielmehr in der Darstellungsweise.[10] Snorri Sturluson war in mitteleuropäischem Denken mit genauen Definitionen und Kategorien geschult. Das hat auf die Darstellung des Stoffes abgefärbt. Hennig Kure hat dies an einem Beispiel aufgezeigt: Snorri beruft sich in Grímnismál auf die ältere Gylfaginning. Dort heißt es in den Strophen 25 und 26:

25.
Heiðrún heitir geit,
er stendr höllu á
ok bítr af Læraðs limum;
skapker fylla
hon skal ins skíra mjaðar;
kná-at sú veig vanask.

26.
Eikþyrnir heitir hjörtr,
er stendr höllu á
ok bítr af Læraðs limum;
en af hans hornum
drýpr í Hvergelmi,
þaðan eigu vötn öll vega.

25.
Heiðrún heißt die Geiß,
die bei der Halle steht
und von den Zweigen Læraðs frisst;
sie soll die Gefäße füllen
mit klarem Met.
Der Trank kann nicht schwinden.

26.
Eikþyrnir heißt der Hirsch,
der bei der Halle steht
und von den Zweigen Læraðs frisst;
und von seinem Horn
tropft es in Hvergelmi.
Davon hat alles Wasser seinen Lauf.

Snorri paraphrasiert diese Quelle nun in Gylfaginning folgendermaßen:

„Geit sú, er Heiðrún heitir, stendr uppi á Valhöll ok bítr barr af limum trés þess, er mjök er nafnfrægt, er Læraðr heitir, en ór spenum hennar rennr mjöðr sá, er hon fyllir skapker hvern dag. Þat er svá mikit, at allir Einherjar verða fulldrukknir af. … Enn er meira mark at of hjörtinn Eikþyrni, er stendr á Valhöll ok bítr af limum þess trés, en af hornum hans verðr svá mikill dropi, at niðr kemr í Hvergelmi, ok þaðan af falla þær ár, er svá heita: Síð, … usw.“

„Die Ziege, die Heiðrún heißt, steht oben auf Valhöll und frisst das Laub von den Zweigen des Baumes, der sehr namenskundig ist und Læraðr heißt. Aus ihren Zitzen rinnt Met, mit dem sie die Gefäße täglich füllt. Das ist so viel, dass alle Einherjer davon volltrunken werden. … Bemerkenswerter ist das über den Hirsch Eikþyrnir. Er steht auf Valhöll und frisst von den Zweigen dieses Baumes und aus seinem Horn kommen so viele Tropfen hinab auf Hvergelmi, und davon strömen die Flüsse, die da heißen Síð, … usw.“

Gylfaginning Kap. 39; kursiv sind die Hinzufügungen Snorris

Die Unbestimmtheit des Mythos wird bei Snorri eindeutig gemacht. Das Wort „á“ in der zweiten Zeile, das „auf, neben, nahe bei“ bedeuten kann, wird bei Snorri zu „uppi“ – „obendrauf“. Der nicht näher identifizierte „Lærað“ wird als Baum definiert. Gylfaginning sagt nicht, was die Ziege von den Zweigen frisst, Snorri legt es fest: Es sind Blätter. Auch woraus der Met rinnt, klärt erst Snorri. Der Met geht bei Gylfaginning nie aus. Snorri ergänzt, dass die Einherjer volltrunken werden. In Gylfaginning hat alles Wasser seinen Lauf von den Tropfen aus dem Hirschgeweih. Snorri zählt alle Flüsse auf. Nichts bleibt in mythischer Schwebe, alles wird genau festgelegt. Darin sieht Kure und die von ihm zitierte Forschung den Haupteinfluss christlicher Bildung auf die Darstellung der heidnischen Mythen und weist darauf hin, dass auch die gegenwärtige Forschung auf diese Mythen durch die Brille Snorris blickt.

Als weitere schriftliche Quellen können Inschriften gesehen werden. Sie sind auf Brakteaten, Weihe-, Votiv- und Bildsteinen zu finden.

Quellen für die Götternamen

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In Skandinavien wurde bei den Göttern Frey, Freya, Njörd und den Asen, vor allem bei Thor geschworen. So rief Egil Skallagrimsson in der Egils saga 934 einen Fluch von Odin, Frey und Njörd herab, und in Skírnismál werden Flüche im Namen Odins, Thors und Freys beschworen. Für Trondheim sind für das 10. Jh. Trinksprüche beim Opfer für Odin, Njörd und Frey überliefert. Die Flateyjarbók nennt ebenfalls Odin, Frey und die Asen. Auch Adam von Bremen nennt Wodan, Frey und Thor als Götter im Zusammenhang mit dem Opferfest von Uppsala. Thor wird auch im Tempel von Håkon Jarl in Lade erwähnt.

Aus der Überführung römischer Wochentage in eine germanische Nomenklatur lässt sich entnehmen, welche germanischen Götter als Entsprechung zu den römischen gesehen wurden. Dies mercurii wurde zu onsdag (Mittwoch), dem Tag des Wodan/Odin, denn beide führten die Toten zu ihrer neuen Wohnstatt. Dies Jovis wurde zu Thorsdag (Donnerstag), was eine Entsprechung von Jupiter und Thor beinhaltet. Thor konnte auch mit Herkules identifiziert werden. Was dem einen die Keule war, war dem anderen der Hammer. Dies Martis wurde in Tisdag (Dienstag) verwandelt, womit Mars und Tyr, ein sehr alter Kriegsgott, in Entsprechung gesetzt wurden.

Nach Tacitus verehrten gewisse germanische Völker die Göttin Nerthus, der im Norden der Gott Njörd entspricht. Es ist denkbar, dass die Göttin der Fruchtbarkeit bei den Sueben in der Nachbarschaft, die Tacitus als Isis bezeichnet, mit dieser Nertus identisch ist. Es ist auch unsicher, ob Frey, Freya und Ull in den Quellen überhaupt Eigennamen sind oder nicht vielmehr Bezeichnungen für Götter mit anderem Namen, wie dies bei des Landes Gott oder Ásabraqr für Thor bekannt ist („Þórr heißt Atli und Àsabragr“ heißt es in der Prosa-Edda). Es sieht nämlich so aus, als ob es urgermanisch eine Dreiheit von Hauptgöttern gegeben habe, einen Himmelsgott (erst Tyr, später Thor), einen männlichen/weiblichen für die Erde, zu der auch das Meer gehörte, und der Fruchtbarkeit (Nertus, Njörd, Frey, Freya) und einen unterirdischen Gott des Totenreiches (Wodan, Odin), die man in Krieg und Gefahr anrief.

Prokop berichtete im 6. Jh., dass die Einwohner Thules (Norwegen) eine große Zahl von Göttern und Geistern im Himmel, in der Luft, auf der Erde im Meer und in Quellen und Flüssen verehrten. Man opfere ihnen allen, aber Ares (Mars) – also Tyr – sei ihr höchster Gott, dem sie Menschen opferten.
Das sächsische Taufgelöbnis, das in einer Fuldaer Handschrift des 8. Jahrhunderts überliefert ist, ermöglicht, die Namen der für die Sachsen wohl wichtigsten Götter kennenzulernen. Es lautet: „Ich widersage allen Werken und Worten des Teufels, Thor, Wodan und Saxnot und allen Unholden, die ihre Gefährten sind“.

In den Merseburger Zaubersprüchen werden die Götter Phol (Balder), Uuodan (Wodan), Sinhtgunt (umstritten, aber wahrscheinlich der Mond), Sunna (Sonne), Friia (isl. Frigg auch Freya) und ihre Schwester Uolla (isl. Fulla) genannt.

Gewisse Götternamen treten oft gemeinsam auf, Njörd, Tyr und Thor, oder Freya, Ull und Thor. Nach der Völuspá ist die Welt von Burrs Söhnen Odin, Vile und Ve geschaffen, und die Menschen erhielten ihr Leben von Oden, Höner und Lodur.

Auch die Ortsnamenforschung fördert alte Götternamen zu Tage: Thor, Njord, Ull, Frey, Odin, Tyr, Frigg, Freya, mit den schwedischen Beinamen Härn und Vrind, möglicherweise auch Vidar, Balder, Höder und Skade. Von den Namen der Göttergeschlechter kommen gud, as, dis, wahrscheinlich auch van vor.

Thors Kampf gegen die Jötunn (von Mårten Eskil Winge, 1872)
Zeichnung des Mjölnir, hier ein archäologischer Fund von Bredsättra auf Öland, Schweden

Man kann anhand der Votivtexte von einem ausgeglichenen und zuversichtlichen Verhältnis zu den schicksalbestimmenden Mächten bei der bäuerlichen Bevölkerung ausgehen. Ganz anders ist die von den Skalden überlieferte Mythologie, wie sie in den Edda-Liedern vorgetragen wurde. Hier herrscht ein tiefer Pessimismus vor.

Die Götterwelt der Germanen begründet sich auf drei Geschlechter, die alle aus dem Urchaos Ginnungagap und dem Urrind Audhumbla hervorgingen: Das Geschlecht der Riesen und Ungeheuer, zu denen praktisch alle bösen Wesen gehörten, die auch für Naturkatastrophen verantwortlich gemacht wurden, kam als erstes auf die Welt. Dieses Geschlecht hat die Macht, die Welt zu vernichten. Damit dies nicht passiert, wurden Wanen und Asen geschaffen. Sie halten alles im Gleichgewicht, bis sich das Schicksal der Götter in einem finalen Kampf erfüllt, infolge dessen es zu einem Krieg zwischen Riesen und dem Asen-Wanen-Bund kommt, dem sich die gefallenen Menschenkrieger anschließen und in dem die ganze Welt vernichtet wird, um wiedergeboren zu werden.

Die Wanen, das zweitälteste Geschlecht, wurden als äußerst geschickt, erdgebunden und weise verehrt und lebten ewig, sofern sie nicht erschlagen wurden. Die Asen, das jüngste Geschlecht, galten als äußerst mutig und stark, aber nicht sehr klug, was man auch in der Edda nachlesen kann. Ihr Ewiges Leben verdanken sie einem Trunk, der sie gewissermaßen abhängig von den Wanen machte.

Hauptgott der Asen war Odin, ursprünglich vielleicht Tyr. Hauptgott der Wanen war der Meeresgott Njörd bzw. dessen Zwillingskinder Freyr und Freya. Asen und Wanen fochten einen großen Krieg aus, bei dem die Asen als Sieger hervorgingen, wobei die Wanen weiterhin eine geachtete Stellung innehatten. Beide Geschlechter lebten versöhnt und nebeneinander, bis die Christianisierung der Germanen einsetzte. Daraus ergeben sich auch verschiedene Schöpfungsmythen: so ist sowohl Tyr als auch Odin Schöpfer der ersten Menschen. Odin war ursprünglich der Hauptgott der Westgermanen, wobei er sich nordwärts über ganz Europa verbreitete. Für die Nordgermanen spielte ursprünglich Nerthus eine große Rolle, doch schon früh verschmolz ihr Kriegsgott Wodan mit dem Kriegsgott Odin und wurde so zum Hauptgott. Auch die Ostgermanen übernahmen Odin schließlich als Hauptgott. Daher wird in der Nordgermanischen Religion Odin immer als oberster Gott angesehen.

Odin war der Gott über allen anderen Göttern. Odin war zuvorderst Kriegs- und Todesgott, und erst in zweiter Linie ein Weiser. Der Name „Odin“ leitet sich vom altnordischen Wort „óðr“ her, das „wild, rasend“ bedeutet. Daher war er der Gott der Ekstase und des rasenden Kampfes. Er war nicht ein nordischer, sondern ein gemeingermanischer Gott. Er war auch Hauptgott der Angeln, der Sachsen, die ihn Wodan nannten, was Inschriften bekräftigen. Die Sage um Odin reicht auch weit zurück, denn bereits die Römer wussten, dass die Germanen einen Gott verehrten, der ihrem Mercurius ähnelte. Odin hatte nur ein Auge, das andere hatte er dem Jöten Mimir verpfändet, der über den Brunnen der Weisheit am Lebensbaum Yggdrasil gebot, wofür er aus dem Brunnen trinken durfte – er opferte also sein körperliches Auge für ein geistiges, mit dem er Dinge sehen konnte, die anderen verborgen waren. Auch die Magie der Runen hatte er von Mimir gelernt. Nach der Völuspá hatte Odin einst den ersten Krieg verursacht: „In die Feinde schleuderte Odin den Speer. Das war der erste Kampf der Völker.“[11]

Als Ekstatiker und Magier war Odin in der Lage, seine Gestalt zu wechseln. Woher dieser schamanistische Zug in Odin kommt, ist nicht bekannt, möglicherweise aus dem Osten, wo der Schamanismus verbreitet war.

Thor war vor allem der Gott der Bauern. Seine wichtigste Eigenschaft war seine gewaltige Kraft. Darüber hinaus hatte Thor seinen Hammer Mjölnir. Thor beschützte sowohl Götter als auch Menschen gegen die Jöten, die feindlichen Mächte in der Welt. Thors Kampf mit der Midgardschlange ist der Mythen liebstes Thema. Diese war ein eiterspeiender Wurm draußen im Ozean, der so lang war, dass er den Erdkreis umfasste.

Odin und Thor gehörten zu den Asen. Zu dieser Göttergruppe zählten auch Balder, Heimdall, Loki, Bragi und Ullr. Frigg, Odins Frau, Siv, die Frau Thors, und Idun waren Wanen. Daneben gab es noch Nornen, Folgegeister und Walküren. Sie alle hatten ihre Aufgabe und Rolle in der sozialen Weltordnung wie auch bei der Beschreibung von Naturereignissen. Die Nornen Urd, Verdandi und Skuld spinnen den Lebensfaden eines jeden Menschen. Die Folgegeister sind Geister, die die Menschen begleiten, die Walküren Odins Sendboten. Hinzu kommen weitere Wesen in der Natur: Zwerge, Elfen und Geister. Die Jöten waren die Hauptwidersacher der Asen. Sie symbolisierten die unbeherrschbaren Naturkräfte. Ihr Stammvater war der Urriese Ýmir, der der Urgrund der geschaffenen Welt war. Als Odin Ýmir tötete, entstanden aus seinem Blut Bäche, Flüsse und das Meer, aus seinen Knochen wurden die Steine, sein Fleisch die Erde und seine Haare das Gras und der Wald. Sein Schädel ist das Himmelsgewölbe. Die ersten Menschen, Ask und Embla, wurden allerdings von Odin erschaffen. Ein anderes Göttergeschlecht waren die Wanen. Zu ihnen gehörten Freyr und Freya sowie deren Vater Njörðr, der in Vanaheimr aufgewachsen war.[12] Die Wanen waren Fruchtbarkeitsgötter. Zwischen Wanen und Asen gab es Krieg, der aber mit einem Bündnis endete. Es gibt Spekulationen über einen historischen Hintergrund, nämlich dass asengläubige Krieger wanengläubige Bauern unterworfen hätten oder einfach nur der Wanenkult von einem Asenkult abgelöst worden sei oder auch, dass hier verschiedene Lebensentwürfe gegeneinander gestellt werden sollten.[13]

Das Weltbild der Bewohner Skandinaviens war stark von ihren Mythen und Sagen geprägt, wobei unklar ist, wieweit deren Vorstellungen in der Bevölkerung verbreitet war. Die überlieferten Mythen beschreiben, was in der königlichen Hofgesellschaft, einer Kriegerkaste, vorgetragen wurde. Im Knotenpunkt der Welt lag Asgard, hier waren die kriegerischen Götter, die Asen, und die Wanen ansässig. Jeder von ihnen hatte ein eigenes Domizil und so herrschte: Odin in Hlidskjálf, Balder auf Breiðablik, Freyja in Fólkvangr, Freyr in Álfheimr, Njörd in Nóatún, Thor in Thrúdheimr und Heimdall auf der Burg Himinbjörg. Das Reich der Götter und die Welt der Sterblichen wurde durch Bifröst, eine regenbogenartige Brücke, miteinander verbunden. In Midgard waren die Menschen heimisch. Ein riesiges Meer, welches eine gigantische Schlangenbestie, die einfach als Midgardschlange bezeichnet wurde, beherbergte, umgab sie. Weit in der Ferne lag die Außenwelt Utgard. Hier wohnten allerlei Ungeheuer und Riesen, die den Göttern und Menschen feindlich gesinnt waren und nur darauf warteten, am Tag des Ragnarök zuzuschlagen. Tief unter der kalten Erde wurde das Totenreich von der Göttin Hel bewacht. Hel war eine Gottheit, deren eine Körperhälfte eine betörende junge Frau widerspiegelte, während die andere Seite ein altes Skelett zeigte, welches als Symbol für alles Vergängliche stand. In Asgard wuchs auch der Weltenbaum, der als Yggdrasil bezeichnet wurde. Dieser überaus gigantische Baum war durch seine Wurzeln mit Midgard, Utgard und Helheim verbunden und hielt das Gefüge der Welt und ihre Ordnung zusammen. Vor der Weltenesche lag auch die Wasserquelle der Schicksalsgöttin. Der Weltenbaum war immensen Strapazen ausgesetzt: vier Hirsche zerrten an seinen Knospen, der Lindwurm Nidhöggr nagte an den Wurzeln und an einer Seite fraß sich schon die Fäulnis in den Baum des Lebens.

Schicksal der Welt

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In der Snorra-Edda und in der Ynglinga saga hat Snorri Sturluson die in der älteren isländischen Poesie, besonders der Lieder-Edda vorgefundenen Mythischen Berichte ausgewertet. Es kann durchaus sein, dass er dabei nicht immer die heidnische Auffassung richtig wiedergegeben hat.

Es gibt noch weitere Mythen in der eddischen Dichtung.

Andere Mythenkomplexe

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Genealogische Ursprungsmythen

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Genealogische Ursprungsmythen sind Geschichtsmythen, die in der Regel die Herrschaft einer Königssippe zu legitimieren hatten.

Sæmundur fróði, Vater der isländischen Geschichtsschreibung (1056–1133), hat für die dänischen Könige einen Stammbaum von 30 Generationen konstruiert, die er auf die Skjöldungen und Ragnar Lodbrok zurückführte. Ihm folgte Ari fróði für Harald Schönhaar mit einer Ahnenreihe von 20 Generationen auf die mythischen Könige Schwedens, die von dem Gott Yngvi/Freyr, einem Hauptgott Uppsalas, abstammen sollten. Diese Mythenbildung hielt sich noch lange, indem die späteren Könige sich entweder auf König Harald oder auf König Olav den Heiligen zurückzuführen trachteten, obgleich sie genetisch sicher nicht von ihnen abstammten.

Das Gleiche ist in England zu beobachten. Frühe Genealogien gingen auf Wodan (Odin) und Frealaf zurück. Westsächsische Genealogien führen im Life of King Alfred (ca. 893/94) die westsächsischen Könige vor Alfred erstmals über Beaw, Scyldwa, Heremod, Itermon, Haðra, Hwala, Bedwig und Sceaf(ing) schließlich auf Adam zurück. Dies steht auch für den westsächsischen König Æthelwulf in der Angelsächsischen Chronik, die im Jahre 892 begonnen wurde. Durch Angleichung der Genealogie an den Beowulf konstruierte die altenglische Geschichtsschreibung einen gemeinsamen Ursprung für Dänen und Angelsachsen. Im 12. Jh. erfolgte dann die mythische Anbindung an Troja und den König Aeneas. Vorher hatten bereits die Franken mit der mythischen Abstammung von den Trojanern ihre Rechtsnachfolge nach den Römern begründet.

Ursprungsmythen für Völker

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Es gibt eine Gruppe von Geschichtsmythen, deren gesellschaftliche Funktion in der Identitätsstiftung eines Volkes besteht. Diese Mythen sind innerhalb des geschichtlichen Zeithorizonts auf Glaubwürdigkeit angewiesen, weshalb sie historische Personen mit mythischen Ereignissen in Verbindung bringen. Ein typisches Beispiel dafür ist die Färingersaga. Aber auch das Landnámabók wird heute nicht mehr als historisch zutreffender Bericht über die Besiedlung Islands angesehen.

Man kann dazu auch die euhemeristische Umwandlung von Göttermythen in Geschichtsmythen für Völker rechnen wie die Ynglinga saga der Heimskringla.

Nach dem Prolog der Heimskringla von Snorri Sturluson war Odin kein Gott, sondern ein König. Nach ihm hat König Odin Saxland seinen drei Söhnen unterstellt: Ost-Saxland erhielt sein Sohn Vegdeg, Westphalen erhielt Beldeg und Franken der Sohn Sigi. Vegdegs Sohn sei Vitrgils gewesen. Dessen beiden Söhne seien Vitta, der Vater von Heingest und Sigarr, der Vater des Svebdeg gewesen. In angelsächsischen Quellen ist der erste Urkönig und Wodan-Nachkomme ebenfalls Swæfdeg. Dort sind die ersten Glieder der Wodannachfahren mit Wägdäg, Sigegar, Swæfdäg und Sigegat wiedergegeben. Auch Tacitus geht von der ursprünglichen Aufteilung des nordalpinen Raums unter drei Söhnen des Mannus aus. Wenn auch die Namen und Gebiete anders sind, so ist die Grundstruktur doch ähnlich.

Aitiologische Mythen

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Beim aitiologischen Mythos handelt es sich um Mythen, die Naturereignisse oder Kulte begründen sollen. Der bekannteste Mythos ist der von Mjölnir, mit dem Thor den Blitz erzeugt. Aber es gibt auch andere Mythen, die in diese Gruppe einzuordnen sind.

So hatte der Name Helgi in den drei Heldenliedern der Edda Helgakviða Hundingsbana I, Helgakviða Hundingsbana II und Helgakviða Hjörvarðssonar ursprünglich einen sakralen Sinn und bezeichnete einen Geheiligten, Geweihten. Beowulf gibt den Namen mit Hálga wieder. Helgi erhielt seinen Namen nach der Helgakviða Hjörvarðssonar von der mythischen Walküre Sváfa. Helgi wurde von Odins Speer im Fesselhain getötet, wurde aber wiedergeboren. Linguistische Untersuchungen legen nahe, dass es sich dabei um das Opfer im Semnonenhain handelt, ein Kult der Sueben, als diese noch in Brandenburg siedelten und von dem Tacitus berichtet.

Der Mythos um Balder, der durch eine Mistel getötet wurde und wieder aufersteht, gehört zu den Naturmythen, die Frühling und Wachstum unterlegt werden.

Zum Odinskult wurde der Odins-Speer verwendet, um das Opfer damit zu töten. Um dieses Ritual gab es mehrere Mythen, nicht nur das Helgilied. Odin warf seinen Speer Gungnir über die Wanen und löste so die erste Schlacht aus. Der Speer stammte von den Zwergen und war ihm von Loki gegeben worden.

Alter der Mythen

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Über das Alter der nordischen Mythen lassen sich keine sicheren Aussagen machen. Zunächst ist die Frage zu beantworten, wonach genau man fragt. Je weiter man zurückgeht, desto spärlicher werden die Bausteine sein, die sich in der Schlussfassung der Eddalieder finden. Selbst wenn man die Lieder in ihrer bunten Vielfalt der Phantasie einer höfisch intellektuellen Dichtung zuschreibt, die von den Skalden im Gefolge Olavs des Heiligen ausformuliert wurde, besagt dies nichts über den Entstehungszeitpunkt der Motive, die der Skalde zusammengefügt hat, und seine eigenen Umgestaltungen. Diese müssen als Gedankengut einige hundert Jahre älter sein, um sich in ganz Nordeuropa so verbreiten zu können, dass sie bei jedem Hörer der Skaldendichtung und seiner Kenningar präsent waren. Die wohl älteste bekannte Darstellung der Mitgardschlange auf dem Medaillon von Lyngby aus dem 5. Jahrhundert dürfte bereits eine längere Tradition hinter sich gehabt haben.[14] Andererseits darf sowohl aus sprachlichen Gründen (Synkope) als auch aus soziologischen Gründen ein großer Teil des wesentlichen Gehalts der Götterlieder nicht aus einer Zeit vor dem 9. Jahrhundert angesetzt werden. Denn es handelt sich weithin um die Dichtung eines Kriegerstandes. Die Vorstellung von Walhall als einem Ort, wo die im Kampf gefallenen Krieger sich mit Kampfspielen vergnügen, ist dafür typisch. Frauen haben keine Chance nach Walhall zu kommen. Als Håkon der Gute im Jahre 961 fällt, wird nach seinem Tode Hákonarmál auf ihn gedichtet. Håkon war Christ, gleichwohl lässt ihn der Dichter nach Walhall einziehen, was auf ein hohes Alter der Walhall-Vorstellung schließen lässt. Die Kriegerkaste hat sich aber erst im 9. Jh. so etabliert, dass sie auch einen eigenen Mythos bilden konnte. Keine der kontinentalen und angelsächsischen Quellen lässt auch nur andeutungsweise erkennen, dass die Wikinger einem heldenhaften Tod mit Aussicht auf den Einzug in Walhall gelassen ins Auge sahen. Vielmehr mieden sie die erkannte Gefahr und retteten sich ohne weiteres durch Flucht oder Loskauf.[15] Aber von diesem Mythenbildungsprozess ist die Entstehung der in den Mythen agierenden Gestalten, ihre Wesenszüge und ihre Bedeutung im Pantheon zu unterscheiden. Diese Elemente können ein wesentlich höheres Alter haben und sogar früheisenzeitliches Gemeingut gewesen sein, aus dem sich die Dichter dann bedient haben.

Ein anderes Beispiel ist der einäugige Odin, der 9 Tage und 9 Nächte an einem Baum hängt. Dass dieses Element sehr alt ist, zeigt schon die Beschreibung Adams von Bremen von dem Opferfest in Uppsala, wo Tiere und Menschen an Bäumen aufgehängt wurden.

„Die Opferfeier geht folgendermaßen vor sich: von jeder Art männlicher Lebewesen werden neun Stück dargebracht; mit ihrem Blute pflegt man die Götter zu versöhnen. Die Leiber werden in einem den Tempel umgebenden Haine aufgehängt. Dieser Hain ist den Heiden so heilig, dass man glaubt, jeder einzelne Baum darin habe durch Tod und Verwesung der Schlachtopfer göttliche Kraft gewonnen. Da hängen Hunde, Pferde und Menschen; ein Christ hat mir erzählt, er habe 72 solche Leichen ungeordnet nebeneinander hängen sehen. Im übrigen singt man bei solchen Opferfeiern vielerlei unanständige Lieder, die ich deshalb lieber verschweigen will.“

Einäugigkeit und Baumheiligtümer sind sehr alte Elemente, die sicher schon zu Zeiten Adams von Bremen viele Generationen hinter sich hatten, und Odin gilt als Hauptgott für Uppsala. Damit wird aber nichts über das Alter der Ätiologie gesagt. Das Streben nach Weisheit als Grund für dieses Bild ist sicherlich nicht so alt wie dieses Bild und gehört in einen gesellschaftlichen Zusammenhang mit ausgeprägten intellektuellen Ansprüchen, sei es in Norwegen, sei es vom Kontinent importiert. Auch der Gewinn der Runen durch Odin einerseits und die These, dass die Runen in Anlehnung an die römische Capitalis monumentalis entwickelt worden seien, andererseits führt dazu, dass dieser Teil des Odinsmythos erst nach der Berührung mit der Capitalis monumentalis und der darauf folgenden Entwicklung der Runen entstanden sein kann.

Ein weiteres Beispiel ist die Helgakveða Hundingsbana II (ein Heldenlied aus der älteren Edda), das altertümlichste Helgilied, in welchem ein Fesselhain erwähnt wird, der mit dem semnonisch-suebischen Fesselwald, über den Tacitus berichtet, für identisch gehalten wird. Obgleich Helgi seinen Beinamen von seinem Feind Hunding erhielt, spielt Hunding im Helgilied keine Rolle. Das bedeutet, dass im Laufe der Tradition die Geschichte starken Veränderungen unterworfen war. Hier lässt sich im Übrigen der Namenstransport belegen: In der Geschichte von Helgi treten drei Personen mit Namen Helgi auf: Helgi Hjörvarðsson, Helgi Hundingsbani und Helgi Haddingjaskati. Die walkürisch-dämonische Geliebte des ersten Helgi heißt Sváva, ein unskandinavischer Name, der aus Süddeutschland kommt, Sigrún ist die Geliebte des zweiten Helgi und Kára die des dritten. Es handelt sich jeweils um die Wiedergeburt des vorangegangenen Paares.[16] Es zeigt sich hier wie auch sonst, dass sich die Namen über wesentlich längere Zeiträume erhalten, als Motive und Begebenheiten.

Bei einem solchen hochkomplexen Entstehungsprozess ist daher bereits die Frage nach dem Alter sehr problematisch, da der Begriff des Alters einen Nullpunkt voraussetzt, der für jedes Motivelement anders anzusetzen ist.

Man wird daher einen vorwikingischen Zeitraum, einen wikingischen Zeitraum und einen mittelalterlichen Zeitraum zu unterscheiden haben. Überlagert wird diese Periodisierung von den Einflüssen erst der heidnisch-römischen, dann der römisch-christlichen Kultur. Wenn man beispielsweise davon ausgeht, dass die Runen auf römische Einflüsse zurückgehen, dann kann dies nicht bei dem Mythos über Odin als dem, der das Geheimnis der Runen erwarb, außer Betracht bleiben.

Frühe Mythenkritik

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Nachdem sehr früh die Ahistorizität des Mythos entdeckt war, begann man darüber nachzudenken, wie solche „Fabeleien“ zustande gekommen seien. Diese Art der Sagakritik führte zu einem neuen Typ des Mythos.

Wie schon in Griechenland Euhemeros die Göttermythen glaubte dadurch erklären zu können, dass es sich bei den Göttern um Könige der Vorzeit handele, die dann später mythisch vergöttlicht worden seien, so hat auch Snorri Sturluson in seiner Heimskringla Odin zu einem Urkönig in Saxland gemacht. So wurde aus dem Weltentstehungsmythos ein Geschichtsmythos, nämlich ein Ursprungsmythos. Ob Snorri von der Erklärung des Euhemeros erfahren hat, lässt sich nicht mehr feststellen. Möglich wäre es, denn die isländischen Antikensagas wurden in diesem Zeitraum (Ende des 12. bis Mitte des 13. Jh.) verfasst, denen die im Mittelalter weit verbreiteten Werke De exidio Troiae Historia des Dares Phrygius, die Historia Regum Britanniae des Geoffrey von Monmouth und die Alexandreis des Walter von Châtillon und andere Überlieferungen zu Grunde lagen. Eine aufklärerische Tendenz war damals schon zu bemerken, indem z. B. Homers Ilias als Lügenmärchen recht unbeachtet blieb und stattdessen die Version des Dares Phrygius bevorzugt wurde.

Mythologie unter dem Christentum

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Man hat in der Vergangenheit den durchschlagenden Erfolg der Christianisierung auf eine Schwäche und den Niedergang der Überzeugungskraft der Mythologie zurückgeführt.[17] Der dänische Kirchenhistoriker Jørgensen sah den Sieg des Christentums in der Barbarei des vorangegangenen heidnischen Glaubens begründet.[18] Mit dem Christentum sei Kultur in das barbarische nordische Volk gekommen.[19] Demgegenüber ist für die Mythologie festzustellen, dass sie im Gegensatz zur religiösen Praxis die Christianisierung fast unbeschadet überstanden hat. Das zeigt sich schon an Snorri Sturluson. Er sah klar, dass die nordische Dichtkunst ohne die Mythologie aufhören würde. Denn sie war auf mythologische Umschreibungen, den Kenningar, angewiesen. Daher musste die Mythologie sowohl den Verfassern als auch den Hörern bekannt sein. Aus diesem Grunde wurde die Mythologie von den skandinavischen Kirchen nicht bekämpft. An den alten Kirchen finden sich Schnitzereien mit Anspielungen auf die heidnische Mythologie.

Die heidnischen mythischen Wesen in christlichem Kontext

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Die vielen heidnischen Wesen erlitten im christlichen Kontext ein unterschiedliches Schicksal, je nachdem, wie sie in das Christentum integriert werden konnten. Das Gleiche gilt für kultische Handlungen.

Mythische Wesen

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Viele heidnische Götter wurden unter dem Christentum zu Teufeln oder zauberkundigen Menschen umgedeutet. Das Bild des nordischen Götterhimmels stand im Widerspruch zu den Beschreibungen der christlichen Bibel oder der Himmlischen Hierarchie und ließ sich daher nicht problemlos in die mittelalterliche Weltanschauung integrieren. Man kann die Wahrnehmung der mythischen Wesen des vorchristlichen Heidentums folgerichtig in zwei Gruppen einteilen: Die eine Gruppe wurde als teuflisch erklärt und bekämpft. Die andere wurde in das Christentum integriert.

Diese Integration ist bei der Behandlung der Fylgja deutlich zu erkennen. Sie hatten als Bindeglied zwischen den Lebenden und Toten eines Geschlechts eine wichtige Funktion. Deshalb musste man sie auf irgendeine Weise in den christlichen Kult integrieren. Ansätze dazu kann man in der Flateyjarbók und in der Gísla saga Súrssonar erkennen. In der Flateyjarbók ist der Þiðranda þáttr ok Þórhalls überliefert. Darin wird geschildert, wie der Sohn eines Großbauern aus dem Haus tritt, weil er ein Klopfen an der Tür vernommen habe. Am Morgen wird er sterbend gefunden. Er berichtet noch, dass er vor der Tür von neun schwarz gekleideten Frauen, die gegen ihn anritten, angegriffen worden sei. Etwas später seien neun weiß gekleidete Frauen gekommen, die ihm hätten helfen wollen, doch zu spät gekommen seien. Dieser Traum wird so gedeutet, dass die schwarzen Frauen die alten heidnischen Fylgjen seines Geschlechts gewesen seien, die weißen Frauen die neuen christlichen. Diese hätten ihm aber nicht helfen können, weil er kein Christ gewesen sei.[20] In der Gíslasaga hat Gísli zwei Traumfrauen. Die eine sei böse, aber von der guten berichtet Gísli, dass sie ihm geraten habe, in der kurzen Zeit, die ihm noch zu leben bleibe, den alten Glauben abzulegen und sich nicht mehr mit Zauberei abzugeben, sondern gut zu den Tauben, Lahmen und Armen sein solle.[21] Hier ist ein deutlicher Anklang zu dem christlichen Schutzengel zu erkennen. Doch in der Sagaliteratur des 13. Jahrhunderts ist die Fylgja immer noch Fylgja und kein Engel und stellt ein heidnisches Überbleibsel Seite an Seite mit christlichen Vorstellungen dar. Aber der christliche Skald Bjǫrn Arngeirsson hítdœlakappi († um 1024) schreibt in seinem Lausavisur Strophe 22 von einem Traum kurz vor seinem Tod, dass eine helmbewehrte Frau ihn heimholen wollte. Die helmbewehrte Frau im Traum ist klar als Walküre erkennbar. „Heim“ war für den Christen aber das Himmelreich. Ob die Strophe echt ist, also von dem Skalden im 11. Jahrhundert gedichtet wurde, ist zwar zweifelhaft. Aber wenn das Gedicht erst im 13. Jahrhundert vom Sagaverfasser gedichtet worden sein sollte, so ist doch bemerkenswert, dass eine Walküre Odins oder Freyas 200–300 Jahre nach der Christianisierung einen Christen heimholen konnte.[22]

Die Aufspaltung mythischer Wesen in vom Christentum akzeptierte und vom Christentum verurteilte Wesen lässt sich wahrscheinlich auch bei Snorris Gylfaginning erkennen. Dort teilt er die ursprünglich mythischen Alben in Schwarzalben und Weißalben ein.[23] Allerdings ist mit dieser Aufteilung keine Auf- oder Abwertung verbunden, sondern sie beschreibt Zuständigkeitsbereiche dieser Wesen.

Die Vorstellung über Zwerge lebte im Christentum weiter, allerdings nicht als mythische Wesen. Sie gingen ohne weiteres in den Volksglauben ein. Sie hatten zwar eine Funktion in der heidnischen Vorstellungswelt, stellten aber keine Bedrohung für den christlichen Glauben dar. Auch die Vorstellungen über die Nornen und das Schicksal lebten ebenfalls weiter, allerdings nicht so unproblematisch. Hallfrøðr vandræðaskáld (um 965 – um 1007) erteilt in der Strophe 10 seines Lausarvisur Odin und den Nornen eine Absage und hält sie für Blendwerk.[24] Allerdings war die Auffassung zu den Nornen in Norwegen und Island unterschiedlich. In Island wurde die Norne nach kurzer Zeit zur Hexe. Als böse Gestalt lebte sie im Volksglauben fort, wurde aber im religiösen Zusammenhang ungefährlich. In Norwegen lebte die Vorstellung weiter, dass die Nornen das Schicksal bestimmten.[25] In der Stabkirche Borgund ist eine Runenschrift mit dem Text zu sehen: „Ich ritt hier vorbei am St. Olavstag. Die Nornen taten mir viel Böses, als ich vorbeiritt.“.[26]

Ein weiteres Problem sind die Jöten, zu denen auch die Midgardschlange zu rechnen ist. Sie waren die Gegner der Götter, die im Christentum dämonisiert wurden. Die meisten Religionshistoriker sind der Auffassung, dass die Jöten nicht angebetet wurden und dadurch kultisch von den Göttern unterschieden seien. Aber es wird auch die Auffassung vertreten, dass einige Jöten ebenfalls Gegenstand eines Kultes waren.[27] Jedenfalls werden die Jöten hin und wieder mit „illi Óðinn“ (der böse Odin) bezeichnet, was wiederum eine Bezeichnung des Teufels ist.[28] Aber eine der wichtigsten Eigenschaften der Jöten war ihre Klugheit, so dass sie nicht nur dämonisiert wurden. Vielmehr wurden sie auch teilweise „entmythologisiert“ zu einfachen Trollen im Volks- und Aberglauben.

Sigurd durchsticht den Lindwurm. Bildstein von Ramsundsberget.
Sigurd durchsticht den Lindwurm. Hylestad Stabkirche, rechte Portalsäule
Sigurd durchsticht den Lindwurm. Hylestad Stabkirche, rechte Portalsäule

Schlangen und Drachen waren nicht so mit der Midgardschlange verknüpft, wie der Thorshammer mit Thor. Sie hatten einen unterschiedlichen Symbolgehalt im jeweiligen Kontext. Davon hing auch ihr Schicksal nach der Christianisierung ab. Drachen und Schlangen gibt es auch im Christentum und werden mit dem Teufel gleichgesetzt. Die Schlange tritt in der Bibel als Verführerin auf. In der norrönen Literatur finden sich Beispiele für Schlangen als Symbol des Bösen. Als der Bischof Guðmundur Arason in die Bucht von Hjørungavåg einfahren wollte, versperrte ihm der Legende nach eine gewaltige Seeschlange den Weg. Er bespritzte sie mit Weihwasser. Da musste die Schlange weichen. Am nächsten Tag fand man den Wurm in zwölf Teile zerstückelt am Strand.[29] Der mit Schwert durchbohrte Drache symbolisiert den Sieg des Guten über das Böse. Dass Sigurðr fáfnisbani in Fáfnismál den Drachen Fafnir tötet – ein weit verbreitetes Motiv in der Eddadichtung – ist zwar in der heidnischen Zeit angesiedelt, aber erst im 13. Jahrhundert gedichtet und wird als Parallelmotiv zu ähnlichen Motiven des Alten Testaments und vorausweisend auf das Christentum und Sigurðr als Vorläufer christlicher Helden gesehen, denen ähnliches zugeschrieben wurde. Während die rechte Portalsäule der Hyllestad-Kirche Sigurðr zeigt, ist auf der linken Säule Samson abgebildet, der den Löwen erwürgt.[30]

Aber in den nordischen Mythen wird die Schlange nicht nur negativ gesehen. Die Midgardschlange, die um das Weltenrund liegt, hält diese zusammen und verhindert so das Auseinanderfallen der Welt in das Chaos.[31] Der Drache hatte einerseits einen aggressiven Symbolgehalt. Auf dem „stál“, dem obersten Stück des Stevens eines Kriegsschiffes, saß bei den Kampfschiffen der Drachenkopf. Nach allen Quellentypen, den literarischen, den archäologischen und dem Bildmaterial zu urteilen waren die Drachenköpfe auf den Schiffen relativ selten. Nach dem Landnámabók war es verboten, mit dem Drachenkopf am Steven den Heimathafen anzusegeln. Die Schutzgeister des Landes könnten aufgebracht oder vertrieben werden. Auf Feindfahrt sollte er die Schutzgeister des Feindes vertreiben. Wer die Schutzgeister des angegriffenen Landes vertrieb und das Land unterwarf, war der neue örtliche Herrscher. Deshalb werden in den Quellen die Schiffe mit Drachenköpfen regelmäßig den Führungspersönlichkeiten der Unternehmungen zugeschrieben.[32] Der Drache konnte andererseits mit Schutz in Verbindung stehen. Der Drache liegt auf dem Schatz oder windet sich um ihn. Das ist seine Wächterfunktion. In der Forschung werden Drachenfiguren oft als reine Dekoration angesehen, insbesondere an Stabkirchen, aber auch an Schmuckstücken und Armreifen. Aber Mundal vermutet in ihnen eine apotropäische Funktion. Bei Kirchen sollten sie das Heidnische fernhalten.[33] Während Drachen neben anderen Fratzen auch Kirchen auf dem Kontinent zierten, ist doch auffällig, welches Übergewicht die Drachenköpfe an den norwegischen Stabkirchen haben, ja sogar an Reliquienschreinen.[34] Das kann daran liegen, dass die Drachen in der profanen Kunst in der vorchristlichen Zeit einen allen bekannten Symbolgehalt hatten, der sie auch in der Kirchenkunst tragbar machte. Sie können gedeutet werden als das Fernhalten des Bösen, aber auch als Allgegenwart des Bösen, sogar innerhalb des Kirchenraums.[35]

Im älteren Frostathingslov und im Gulathingslov wird das Blót an heidnische Mächte, an heidnischen Grabhügeln und Altären verboten.[36] Noch in den späteren Christenrechten von 1260, wie dem Neueren Gulathings Christenrecht,[37] und auch in einer Predigt in der Hauksbók aus dem ersten Drittel des 14. Jahrhunderts[38] werden noch die Verwerflichkeit, an die Schutzgeister des Landes zu glauben oder sie zu verehren, erwähnt. Die Sitte dürfte trotzdem noch mehrere hundert Jahre fortbestanden haben. Ein Grund für das lange Fortbestehen der Bräuche für die Schutzgeister des Landes könnte sein, dass sie als weniger gefährlich für das Christentum angesehen wurden, als der Glaube an die Götter.[38]

Das Gleiche gilt für den Ahnenkult. Ihm begegnete das Christentum mit Misstrauen. So wird in § 29 des Älteren Gulathingslov verboten, an den Grabhügeln zu opfern. Doch der Ahnenkult lebte unter dem Christentum fort. Das kann daran liegen, dass die Ahnenverehrung in einer Clangesellschaft ein wichtiges religiöses Element darstellt und das Christentum darin immerhin den Glauben an ein Leben nach dem Tode sah. Und man grenzte dann die Ahnenverehrung und die Ahnenanbetung voneinander ab.[38]

Portal: Mythologie – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Mythologie
  • Detlev Ellmers: Die archäologischen Quellen zur Germanischen Religionsgeschichte. In: Heinrich Beck, Detlev Ellmers, Kurt Schier (Hrsg.) Germanische Religionsgeschichte. Quellen und Quellenprobleme. Berlin 1992 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Bd. 5). S. 95–117.
  • Neil Gaiman: Nordische Mythen und Sagen. Eichborn, 2017, ISBN 978-3-8479-0636-0.
  • Jacob Grimm: Deutsche Mythologie. Marix Verlag, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-86539-143-8.
  • Vilhelm Grønbech: Vor folkeæt i oldtiden, Bd. I–IV. [1909–1912] Kopenhagen ²1955. (Dt. u. d. T. Kultur und Religion der Germanen, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1954, 2 Bde.)
    • 1. Lykkemand og Niding
    • 2. Midgård og Menneskelivet
    • 3. Hellighed og Helligdom
    • 4. Menneskelivet og Guderne
  • Knut Helle (Hrsg.): Aschehougs Norges Historie. Aschehoug, Oslo 1995
  • Oddgeir Hoftun: Norrön tro og kult ifölge arkeologiske og skriftlige kilder, Solum Forlag, Oslo 2001, ISBN 82-560-1281-1
  • Oddgeir Hoftun: Menneskers og makters egenart og samspill i norrön mytologi, Solum Forlag, Oslo 2004, ISBN 82-560-1451-2
  • Oddgeir Hoftun: Kristningsprosessens og herskermaktens ikonografi i nordisk middelalder, Solum Forlag, Oslo 2008, ISBN 978-82-560-1619-8
  • Otto Höfler: Das Opfer im Semnonenhain und die Edda. In: Hermann Schneider (Hrsg.): Edda, Skalden, Sagas. Festschrift zum 70. Geburtstag von Felix Genzmer. Winter, Heidelberg 1952, S. 1–67
  • Henrik Janson: 'Edda and "Oral Christianity": Apocryphal Leaves of the Early Medieval Storyworld of the North', in: The Performance of Christian and Pagan Storyworlds. Non-canonical Chapters of the History of Nordic Medieval Literature, L. Boje Mortensen och T. Lehtonen, (Turnhout: Brepols 2013), S. 171–197. 2013, ISBN 978-2-503-54236-2 (academia.edu).
  • Kris Kershaw: Der einäugige Gott. Odin und die indogermanischen Männerbünde. 2004, ISBN 3-935581-38-6
  • Jónas Kristjánsson: Eddas und Sagas. Die mittelalterliche Literatur Islands, Buske, Hamburg 1994, ISBN 3-87548-012-0
  • Henning Kure: „Geden, hjorten og Læráðr. Eller hvordan man befrier nordisk mythologi fra Snorris Edda.“ In: Jon gunnar Jørgensen (Hrsg.): Snorres Edda i europäisk og islands kultur. Reykholt 2009. ISBN 978-9979-9649-4-0. S. 91–105.
  • Mirachandra: „Treasure of Norse Mythology I“ – Enzyklopädie der nordischen Mythologie von A–E. Mirapuri-Verlag. ISBN 978-3-922800-99-6
  • Michael Müller-Wille: Opferkulte der Germanen und Slawen. Wissenschaftl. Buchgesellschaft, Darmstadt 1999.
  • Else Mundal: Midgardsormen og andre heidne vesen i kristen kontekst. In: Nordica Bergensia 14 (1997) S. 20–38.
  • Britt-Mari Näsström: Fornskandinavisk religion. En grundbok. Lund 2002a.
  • Britt-Mari Näsström: Blot. Tro och offer i det förkristna norden. Stockholm 2002b.
  • Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 2., ergänzte Auflage. Kröner, Stuttgart 1995, ISBN 3-520-36802-1.
  • Rudolf Simek: Religion und Mythologie der Germanen. Wissenschaftl. Buchgesellschaft, Darmstadt 2003, ISBN 3-534-16910-7
  • Klaus von See u. a.: Kommentar zu den Liedern der Edda. Götterlieder. Winter, Heidelberg
    • Bd. 2. Skírnismál, Hárbarðslióð, Hymiskviða, Lokasenna, Þrymskviða, 1997, ISBN 3-8253-0534-1
    • Bd. 3. Völundarkviða, Alvíssmál, Baldrs draumar, Rígsþula, Hyndlolióð, Grottasöngr, 2000, ISBN 3-8253-1136-8
    • Bd. 4. Helgakviða Hundingsbana I, Helgakviða Hiörvarðssonar, Helgakviða Hundingsbana II, 2004, ISBN 3-8253-5007-X
  • Preben Meulengracht Sørensen: Om eddadigtenes alder. (Über das Alter der Edda-Dichtung) In: Nordisk hedendom. Et symposium. Odense 1991.
  • Manfred Stange (Hrsg.): Die Edda. Götterlieder, Heldenlieder und Spruchweisheiten der Germanen. Vollständige Textausgabe in der Übersetzung von Karl Simrock. Bechtermünz-Verlag, Augsburg 1995, ISBN 3-86047-107-4
  • Preben Meulengracht Sørensen: Om eddadigtens alder (Über das Alter der Eddadichtung). In: Nordisk hedendom. Et Symposium. Odense 1991. S. 217–228.
Commons: Norse mythology – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Näsström (2002b) S. 13.
  2. a b Sørensen S. 225.
  3. Ellmers S. 109 ff.
  4. Übersetzung von Gustav Neckel und Felix Niedner
  5. a b Übersetzung von Gustav Neckel und Felix Niedner.
  6. Gylfaginning Kap. 22, 23.
  7. Gylfaginning Kap. 9.
  8. Kirsten Hastrup: Cosmology and Society in Medieval Iceland. A Social-Anthropological Perspective on World-View. In: Etnologia Scandinavia 1981. S. 63–78.
  9. Jens Peter Schjødt: Horizontale und vertikale Achsen in der vorchristlichen skandinavischen Kosmologie. In: Old Norse and Finnish Religions and Cultic Place-Names. Åbo 1990. S. 35–57.
  10. Zum Folgenden: Kure 2009.
  11. Aus der Edda, Völuspá (Der Seherin Weissagung), Übersetzung Karl Simrocks: „Gebrochen war der Burgwall den Asen,/ Schlachtkundge Wanen stampften das Feld./ Odin schleuderte über das Volk den Spieß:/ Da wurde Mord in der Welt zuerst.“ Übersetzung Felix Genzmers: „Den Ger warf Odin ins Gegnerheer:/ der erste Krieg kam in die Welt;/ es brach der Bordwall der Burg der Asen,/ es stampften Wanen streitkühn die Flur.“
  12. Gylfaginning Kap. 23
  13. Jens Peter Schjødt: Relationen mellem Aser og vaner og den ideologiske implikationer. In: Nordisk hedendom. Et Symposium. Odense 1881. S. 303–319.
  14. Ellmers S. 110.
  15. Horst Zettel: Das Bild der Normannen und der Normanneneinfälle in westfränkischen, ostfränkischen und angelsächsischen Quellen des 8. bis 11. Jahrhunderts. München 1977, S. 148–152.
  16. von See S. 115, 125, 609.
  17. Maurer II, 263.
  18. A. D. Jørgensen: Den nordiske kirkes grundlæggelse og første udvikling. Kopenhagen 1874–1878.
  19. Steinsland S. 336.
  20. Mundal S. 23.
  21. Mundal S. 24. Mundal zitiert hier aus dem Kap 22 der kurzen Fassung der Saga. In der Fassung der Isländersagas Bd. 2. Frankfurt 2011, ISBN 978-3-10-007623-6, S 142 f. kommt dieser Rat ohne Aufforderung zur Bekehrung in einem Gedicht Gíslis zum Ausdruck.
  22. Mundal S. 24. Die Lausavisur ist hier aus Norrön und Dänisch abrufbar.
  23. Mundal S. 24. Gylfaginning Kap. 17.
  24. Mundal S. 25. Lausavisur norrön und englisch.
  25. Mundal S. 25.
  26. Erich Burger: Norwegische Stabkirchen. Geschichte, Bauweise, Schmuck. Erstveröff., DuMont, Köln 1978 (= DuMont-Kunst-Taschenbücher; 69), ISBN 3-7701-1080-3.
  27. Mundal S. 26.
  28. Mundal S. 26. In der Flateyjarbók ist die Geschichte „Óðinn kom til Ólafs konungs með dul ok prettum“ (Odin kommt zu König Olaf (dem Heiligen) verkleidet und mit List) überliefert. Als der König ihn erkennt, vertreibt er ihn, indem er ihm sein Brevier auf den Kopf schlägt, und bezeichnet ihn als „illi Óðinn“.
  29. Guðmundar saga Arasonar, Kap. 12 (norrøn Text)
  30. Klaus von See u. a.: Kommentar zu den Liedern der Edda. Heldenlieder. Bd. 5. Heidelberg 2006, S. 368.
  31. Preben Meulengracht Sørensen: Thor’s Fishing Expedition. In: Gro Steinsland (Hrsg.): Words and Objects: Towards a Dialogue between Archaeology and History of Religion. Oslo 1986, S. 257–278, 271–275.
  32. Mundal S. 31.
  33. Mundal S. 33.
  34. So zum Beispiel am Reliquienschrein der Stabkirche Heddal.
  35. Mundal S. 36.
  36. Norges Gamle Lov I: Den Ældre Frostathingslov III, 15; Den Ældre Gulathings-Lov 29.
  37. Norges Gamle Lov II: Nyere Kristenrett 3.
  38. a b c Mundal S. 22.